Think IOU
Wiglaf Droste schuldet in Der infrarote Korsar einem Lokführer eine Geburt, und ich habe das Gefühl, ich schulde dem Blog eine kleine Erklärung. Darum also ein kurze Unterbrechung der Auszeit.
Also, der letzte Auftrag im alten Job führt in pazifische Gefilde; Hawaii, um präzise zu sein. Ich schicke das voraus, um klarzumachen, dass ich mir nicht ausgesucht habe, hier zu sein (auch wenn das zugegeben, Luxuslamentieren ist) und im Herbst (Lieblingsjahreszeit!) nie und nimmer in die Sonne fahren würde.
Obwohl es hier wirklich schön ist, und vor allem das Meer ist ein absoluter Bilderbuchtraum. Das Klischee vom kristallklaren Wasser und makellosen Sandstränden ist 100% übererfüllt. Kitsch live, aber sowas von wundervoll!
Wie auch immer. Das Südseeidyll hat einen massiven Knacks bekommen am Sonntag Morgen. Gerade aufgestanden, lässt sich das kreisende Gefühl vielleicht noch mit wackligem Kreislauf erklären. Als es dann aber richtig zu schwanken und irgendwie laut zu werden beginnt, ist klar, dass etwas nicht stimmt, und das hat mit Kreislauf nichts zu tun. Höchstens mit dem von Mutter Natur. Denn dann der Moment, als mir so richtig bewusst wird: Erdbeben! Sich klar zu werden, dass das grade Wirklichkeit ist, in echt passiert, real ist, und zu wissen, dass es jetzt jeden Moment aus sein kann, die totale Hilflosigkeit - das ist der eigentliche Schock.
Das Zimmer liegt im 17. Stock.
Irgendwann lässt die Bewegung nach und inzwischen ist der Strom weg - der Radiowecker zeigt keine Zeit mehr, die Air condition summt nicht mehr und das Telefon ist tot. Nach ein paar Minuten dann ein Durchsage über die Hotelsprechanlage: "Attention to all guests. We are experiencing an earthquake. Please stay calm in your rooms until further notice." Unnötig zu erwähnen, dass das Mobiltelefon kein Netz findet.
Dann die nächste Durchsage: "Attention to all guests. We just received information that the airport is closed. Please stay calm in your rooms. We try to keep you updated."
Das wird die einzige Information der nächsten Stunden bleiben. Stündlich wird wiederholt, man möge in den Zimmern bleiben und dass der Flughafen geschlossen ist. Im Zimmer nebenan - der Mensch ist dankbar für jedes Geräusch und Lebenszeichen - werden heftig Möbel gerückt. Die Nachbarn, so stellt sich später raus, sind Japaner, erfahren sozusagen, und haben ihre Verhaltensregeln angewendet.
Das deutsche Auswärtige Amt empfiehlt übrigens im Erdbebenfall, man möge "einen Sammelplatz mit EU-Angehörigen aufsuchen". Ich darf sagen, dass das vorsichtig formuliert nicht praktikabel ist, wenn man in einem oberen Stockwerk sitzt, die Lifte ausgefallen sind und fraglich ist, ob sich überhaupt irgendwo EU-Angehörige sammeln.
Nach ein paar Stunden war wenigstens Mobilnetzempfang und SMS ("Was ist los? Infos? CNN?")und damit der einzige Kontakt zur Außenwelt (in dem Fall darf man das ruhig so dramatisch sagen, denn es war so) möglich. Von dort die Information, dass kein Tsunami erwartet, aber mit Nachbeben gerechnet wird. Auch nicht unbedingt beruhigend, aber immerhin Information, und nicht die lähmende Ungewissheit.
Irgendwann lässt dann die Anspannung nach, weil man es rein konditionell nicht mehr schafft, Angst zu haben. Auch dann nicht, als vom nahe gelegenen Militärstützpunkt offensichtlich ein ganzes Geschwader Hubschrauber startet und die ziemlich gespenstische Ruhe unterbricht. Dass nichts mehr wackelt, trägt allerdings zur Beruhigung bei, und so heisst es abwarten, bis der Strom wieder kommt. Was nach über 15 Stunden dann der Fall ist und mit Riesenapplaus und Gejohle von den Balkonen, wohin sich viele aus den dunklen Zimmern wieder hingetraut haben, begrüßt wird.
Die Nacht wird eine leicht mulmige und sicherheitshalber in Klamotten verbracht, falls es doch noch Evakuierungen oder irgendwas gibt. Es geht dann aber alles gut, und aus den 6.7 und 5.8 Richter shocks wird eine Episode fürs Blog und die nicht vorhandenen Enkel.
Damit es nicht bei der reinen Desaster-Berichterstattung bleibt, sei allen EU-Angehörigen und sonstigen Lesern die vergnügliche (weil leider eher zum Amusement denn zur Hilfe taugliche) Lektüre des AA empfohlen. Dazu als Soundtrack Musik des hawaiianischen Kult-Sängers - bei ihm trifft der Ausdruck wirklich zu: alle hier lieben ihn, und als er von ein paar Jahren mit 38 an den Folgen chronischer Fettsucht (über 300 kg) gestorben ist, gab's ein Staatsbegräbnis - Israel Kamakawiwo'Ole, genannt Iz, vom lokalen Verehrungsgrad her so etwas wie Elvis, Heino und Robbie Williams zusammen.
Bis dann im Dezember!
9 Zweitstimme(n):
Bleiben Sie cool, Frau KE, Bruce Willis ist unterwegs. Nein, im Ernst, da schaudert man unentwegt beim Lesen. Ich drücke Ihnen die Daumen, dass es keine Nachbeben mehr geben wird, Sie sich von dem Schrecken gut erholen und Ihren Aufenthalt dort noch ein wenig genießen können.
Was ich nicht verstehe, warum folgt man der humoresken Lautsprecherdurchsage - konnten Sie den 17. Stock nicht über eine Treppe verlassen? Gibt es etwa in diesem Hotel Earthquake keine Treppe? Oder sind Sie einfach nur saucool?
Ich werde jedenfalls in Zukunft immer nach meiner EU Peer Group Ausschau halten, und was Israel Kamakawiwo'Ole betrifft: Es gibt keine bessere Version von Somewhere over the rainbow als die von ihm.
Hallo aus L.A., Transit, mal eins von diesen mobilen Internetterminals ausprobieren, 15c/Minute.
(Essensgehenempfehlung hier am Flughafen uebrigens: "Daily Grill" - wirklich prima Kueche, angenehmes Ambiente und - ausser fuer Importbier - sehr zivile Preise).
@rabe: Ich hatte ja auf Magnum getippt, aber auf den war auch nicht so recht Verlass ;). Jedenfalls fuehlt sich ebenerdig (auch wenn das momentane Pflaster ja auch nicht grade das tektonisch zuverlaessigste ist) im Moment deutlich besser an.
@markus_quint: Ehrlich, in so einem Moment macht man alles, was einem gesagt wird. Abgesehen davon waren in den Nachbar- und Gegenueberhaeusern auch alle oben geblieben, und vor allem die Soehne und Toechter Nippons von nebenan. Nachdem die noch am ehesten die Expertise haben, dachte ich mich an besten an sie zu halten.
Und dann war's ja noch so, dass 2 Tage vorher schon mal wg. eines gekappten Baustellenkabels ein mehrstuendiges Power Outage war, weshalb ich mir zum Rausgehen ohne Lift das zum Glueck vorhandene Emergency Light geschnappt und mich auf den Weg durch das unbeleuchtete (Stromausfall!) Feuertreppenhaus (ein Alptraum von einer stockdunklen Betonroehre) 17 Stockwerke nach unten verfuegt habe. Von daher lag die Lampe noch an der Rezeption zum Aufladen. Und ohne Licht mindestens 20 Minute in diese Roehre, wenn moeglicherweise die Brude jeden Moment zusammenkracht - dazu gebricht es mir an Coolness. Die aber Ihnen eignet - ich sage nur: Musikalisches Expertentum!
Jetzt gebe ich aber wirklich die angekuendigte Ruhe. Naechste Station London und Schottland. Wird hoffentlich relaxed, wenn nicht wieder irgendwelche Terroridioten meinen aktiv werden zu muessen.
Ich wiederhole mich: Bis Dezember! :)
Welcher Mitteleuropäer kann sich schon rühmen bei sowas mal dabei gewesen zu sein. Eine schicke breite Scharte in der Lebensrinde, im Nachhinein.
Zum zweiten Mal bin ich jetzt nach Hawaii gereist. Erst mit Herbert Feuerstein, jetzt mit Ihnen. Im Geiste. Beide Male war ich sehr begeistert. Und auf Flughäfen passiert ja immer mal wieder was, womit man nicht rechnet. Und auch sonst. Aber woher sollten die Überraschungen sonst kommen? Definitiv fasziniert mich aber nach wie vor Ihr im Dunklen verborgener Beruf. Kann ich sowas auch machen? :)
Dezember! Fallen Sie bitte nicht in ein schottisches Sumpfloch oder lassen sich von einem zum Weitwurf benutzten Baumstamm erschlagen.
@eon: Stimmt, rückblickend, im milden Licht der heimischen Schreibtischlampe (um mal ein bisschen weichzuzeichnen) ist einfach ein Episödchen draus geworden.
@ole: Kannst Du. Der Job ist ja jetzt frei. ;)
@mlle händel: Teuerste, wie Sie sehen, wollte ich dann doch nicht so lang warten. ;) (Geschönte Version von "Habe mich im Zeitplan verpeilt").
Was muss ich dafür tun, und wie komme ich an ihn heran? Ich bin ja in Kürze "frei" und konfrontiert mit der Aufgabe, mir folglich einen Arbeitsplatz zu besorgen. :)
@ole: Wenn's so doll gewesen wäre, würde ich nicht gekündigt haben.Ich sage nur: Staatsdienst.
Einem gesunden jungen Menschen würde ich dazu nicht raten. Einem älteren auch nicht.
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