17 Dezember 2005

Butterweiche Dekadenz

Herr Weber von der Technik wünscht sich nach dem ganzen Bildwerk mal wieder Text, etwas Informatives soll es sein. Fein, also einen Fließtext à la Schulfernsehen geschmiedet:

So ein nächstes Mal(↓) wird es ganz bestimmt geben, denn die Führung war erstklassig. Nicht das übliche "Siebzehnhundertsoundso erbaut von xy, rechts sehen Sie Gemälde italienischer Meister, links flämische Miniaturen, bitte folgen Sie mir in den nächsten Saal ...", sondern echte Begeisterung der Führerin, die barocken Tratsch und Anekdoten aufbietet.

Ein Beispiel: Riesige Kronleuchter, ein absolut(istisch)es Muss.
Kristall kam aus Venedig oder Böhmen. Ungeschickt natürlich, wenn die fürstliche Immobilie nicht in Venedig oder Böhmen steht, und deshalb die Leuchter lange Strecken transportiert werden müssen: Holprige Wege, ungefederte Kutschen.

Wie also die guten Stücke verpacken und polstern, damit sie unzerbrochen geliefert werden können?
Mit einer Methode, von der heute noch die Rede ist, sprichwörtlich: In große Fässer packen und mit flüssiger Butter aufgießen, die dann zum Stoßdämpfer erstarrt - alles in Ordnung, alles in Butter.

Oder: Die Fächermode.
Nicht nur, um sich Frischluft zu- und den eigenen Odeur wegzuwedeln, wurden Fächer benutzt, sondern auch für eine spezielle Zeichensprache, um Verabredungen treffen zu können - je nach dem, ob der Fächer offen oder zu, links oder rechts .. gehalten wurde, war klar, was gemeint oder nicht gemeint war.
Das kann man freilich auch sagen.
Will man aber nicht, wenn man sich - wie der komplette Adel - mit spätestens 20 die sämtlich verrotteten Zähne hat ziehen lassen und die Mundflora sehr zu wünschen übrig lässt. Die Damen hatten dazu das Handicap, dass sie sich die hohlen Kiefer, damit das Gesicht nicht zu eingefallen aussieht, mit Seidenbällchen ausstopften, waff daff Fprechen auch nicht eben leichter macht.

Wäre morgen nicht Sonntag, könnten noch schweineblutgetränkte Flohfallen, Papageien, denen über Nacht verlauste Perücken zum Abpicken in den Käfig gehängt werden, und elfenbeinerne Kratzhände gegen Wanzenbisse Erwähnung finden, aber zu solchen Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Historiker oder die Damen und Herren vom Krawall-TV ("Die 100 widerlichsten Adels-Bräuche"). Unser kleiner Rundgang endet hier.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

17 Zweitstimme(n):

17/12/05 16:44, Blogger Oles wirre Welt schreibt:

Man sollte aufhören, bevor es wirklich spannend wird. :)

 
17/12/05 18:04, Anonymous Anonym schreibt:

Hätten Sie den Artikel nur gestern schon eingestellt, dann müsste ich die schweineblutgetränkten Flohfallen jetzt nicht meiner Phantasie überlassen.

 
17/12/05 19:12, Anonymous Anonym schreibt:

und zum frühstück biersuppe. das waren zeiten!

 
18/12/05 09:13, Anonymous Anonym schreibt:

interessant. mit den zähnen das.
gabs damals denn schon
gebisse künstliche gebisse?!

 
18/12/05 09:29, Blogger samoafex schreibt:

Aber wie man Ihrer Erzählung anmerkt, Frau Einzelfall, hat die Ankedoten-Führung ihre Vorteile: Man behält alles im Gedächtnis :)

Eine Professorin von mir hält so ihre Vorlesungen - äußerst praktisch. Ich könnte noch wörtlich zitieren, was sie anno 1999 von Ludwig XIV. erzählt hat. Der Mann ist eine wahre Anekdoten-Fundgrube.

 
18/12/05 19:03, Anonymous Anonym schreibt:

Da wird der Herr Weber aber herzlich gelacht haben, genau wie ich gerade.

-->samoafex

Erzählen Sie doch mal, bitte.

 
19/12/05 09:45, Blogger kein einzelfall schreibt:

@ole:
@rabe: Von Reisen wird gern behauptet, dass die schönsten im Kopf stattfinden, vielleicht ist es mit Flohfallen genauso? ;) Aber wer will schon Flohfallen im Kopf haben, außerdem ist heute Montag, bitteschön, Falle auf.
@reuelheines: Sie klingen begeistert, pardon: enthusiasmiert.
@500beine: Es hat zumindest Versuche gegeben, aus Walfischknochen. Erhalten sind aus der Zeit z.B. die Dritten von George Washington - besser nicht auf nüchternen Magen anklicken.
@samoafex: Sie sagen es. Auch wenn man sich auf die Art vermutlich als sensationslüsterne Banausin entlarvt ;). Glückwunsch auch zur Glücksfall-Professorin, und wie opa sagt↑.
@opa: Opa scheint da der deutlich Vitalere zu sein, Herr Weber von der Technik hat sich aber immerhin amüsiert geäußert. ;)

 
19/12/05 10:58, Blogger Oles wirre Welt schreibt:

Waren die Sachen schon zu Lebzeiten auf seine Prothese gekritzelt? Falls er seine "Dritten" mal irgendwo liegenließ, damit man nach ihm schicken und ihm seine Prothese alsbald rückübergeben konnte?

 
19/12/05 11:26, Blogger kein einzelfall schreibt:

Damit es ihm nicht so geht wie den Franzosen: Der Schlüssel zur Bastille hängt noch immer in Mount Vernon, Washingtons Landhaus ... ;)

 
19/12/05 12:33, Blogger Oles wirre Welt schreibt:

und die haben das Schloss nicht gewechselt inzwischen?

 
19/12/05 14:25, Blogger kein einzelfall schreibt:

@ole: Wahrscheinlich gehört es zu einer Großen Nation, dass man sich nicht mit so Kleinkram abgibt und lieber gleich das ganze Gebäude austauscht. ;)

 
19/12/05 17:08, Anonymous Anonym schreibt:

Danke schön für die Erhellung in Sachen Flohfalle. Ich überlege jetzt, wo denn die Herren seinerzeit die ihre trugen ...

 
19/12/05 19:06, Blogger kein einzelfall schreibt:

@rabe: Es gibt zum Glück auch die Variante der Flohfalle in der Perücke ;)

 
20/12/05 09:09, Blogger samoafex schreibt:

Werte Frau Einzelfall, werter Herr Opa,

eine meiner Lieblingsanekdoten ist die mit der Operation. Anscheinend umgab den Sonnenkönig ein bestialischer Gestank, dessen Ursprung die Hofärzte im kariösen Gebiss des Monarchen vermuteten - und ihn deshalb praktisch zahnlos machten. Aber das minderte den Geruch nicht, und die Chirurgen entdeckten einen Abzess im Bauchraum Ludwigs - und entfernten diesen. Ohne Narkose.
Was für ein zäher Bursche, mag sich so mancher aus dem Volk und aus dem Adel gedacht haben, und um ihre Ehrerbietung zu zeigen, ließen auch sie sich operieren, freilich ohne Abzesse zu haben. Die meisten überlebten die Operationen nicht. Aber Ludwig fühlte sich bestimmt geehrt.

Und woher der Begriff des "Bettvorlegers" kommt, hat die Professorin auch gelüftet. Im Hochabsolutismus war Etikette und Zeremoniell das Um und Auf. Privatsphäre im heutigen Sinne gab es nicht - gerade Ludwig war permanent von der Dienerschaft umgeben, wobei er sich aber nicht gestört gefühlt haben dürfte, da Bedienstete nicht als Personen wahrgenommen, sondern eher der Sparte "Möblierung" zugeordnet wurden. Ludwig jedenfalls war nie allein, nicht einmal im Schlaf. Ein Diener legte sich nachts zu Ludwigs Füßen auf den Boden vor seinem Bett.

Lesen Sie in der nächsten Folge von Ludwigs Übergewicht und die dadurch beendete Ballettkarriere.

 
20/12/05 13:23, Blogger samoafex schreibt:

Gott, AbSzess, AbSzess. Ich werde es nie lernen.

 
20/12/05 19:20, Blogger kein einzelfall schreibt:

@samoafexI: Wunderbare Geschichte. Danke. Eigentlich zu schade für das Kommentar-Souterrain.
@samofexII: Mit einer Fistel wäre es nicht so leicht passiert. ;)

 
20/12/05 20:51, Blogger samoafex schreibt:

Frau Einzelfall, es ist mir eine Ehre :)

Abszesse und Fisteln. Abszesse und Fisteln.

Romantitelverdächtig!

Abszesse und Fisteln. Ich würd's lesen.

 

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