Von Augenschmaus bis Gängelband
Vielleicht noch eine Runde 'Leben im Barock - Memoiren einer Schloss-
Touristin'? In Ermangelung finanzieller Möglichkeiten bewohnt kein Einzelfall leider keine Schlösser (um das Anspruchs-Fass mal randvoll zu machen *g*) und ist für das 7-Meter-Decken-und-überhaupt-Feeling also gezwungen, welche zu besichtigen. Deshalb heute zur Abwechslung nicht nach Eintrittskarten, sondern ein bisschen in der Erinnerung an diverse Besuchstouren gewühlt.
Here are the results:
"Stinkreich" und "stinkvornehm" kommen nicht von ungefähr, sondern aus der Zeit, als Wasser als verderblich galt: Es öffnet die Poren der Haut, dringt durch sie ein und schleust Krankheiten ins Blut. Ergo: Baden und waschen machen krank.
Wer überhaupt badete - meistens nur wagemutige Exzentriker - tat das selbstverständlich nur im langen Hemd, den Saum mit Blei beschwert. Nicht aus Prüderie, sondern weil man es für gesünder hielt.
Als ungesund, um nicht zu sagen als tödlich wurde das Schlafen im Liegen angesehen: Barocke Betten sind nicht nur deswegen so billighotelartig kurz, weil die Menschen damals generell kleiner waren, sondern weil die Oberschicht quasi im Sitzen schlief, denn es galt: "Liegen bringt den Tod."
Das schloss man daraus, dass diejenigen, die keine Betten hatten und auf dem Boden schliefen, kurz: das Volk, meist früh und oft an Lungen- und Infektionskrankheiten starben. Und das, glaubte man, konnte nur am Liegen liegen.
Nach so einer Nacht halbsitzend im Bett wurde in den Residenzen vom eigentlichen Schlafgemach ins offizielle Prunkschlafzimmer, das nur zur Show diente, gewechselt, zum Lever: Geladene Höflinge dürfen sich ums Bett versammeln und zusehen, wie die Hoheit angekleidet wird. Es gilt als Ehre und Gradmesser für den Status bei Hof. Andere "ehrenvolle" Details, in denen Nachttöpfe und sog. Leibstühle eine Rolle spielen, mal außen vorgelassen.
Intim wird es auch so: Am Hof von Louis XIV. schauten Handverlesene üblicherweise auch bei königlichen Zeugung(sversuch)en und Geburten zu. Damit das mit den kleinen Thronfolgern auch alles seine Richtigkeit hatte. Die wurden, wenn sie dann da waren, zur Erziehung Ammen anvertraut, die die Kleinen aus Standes-Gründen nur mit Samthandschuhen(!) anfassen durften, laufen lernen die Zwerge am Gängelband.
Mädchen werden von frühen Jahren an geschnürt. Später dann noch stärker (Idealmaß für die Taille ist die Breite des Kopfs), die Kleider werden nicht geknöpft, sondern jeden Morgen zugenäht. Organquetschungen und Rippenverschiebungen sind an der Tagesordnung, Ohnmachten damit auch, aber dafür gibt es ja Riechsalz.
Das durch und durch üppige Essen wurde der schlechten Zähne wegen eher zer- als gekocht (heutzutage würde es wohl als intravenöse Nahrung durchgehen) und deswegen Suppen und Pasteten extrem kultiviert. Trotzdem gab es auch jede Menge fester Gänge - teils nur aufgetischt, um präsentiert zu werden und den Wohlstand des Gastgebers zu illustrieren - das Ganze wurde dann wieder ungegessen abserviert: Der Augenschmaus.
Waren der und die eigentlichen Mahlzeiten beendet, wurde die Tafel aufgehoben - d.h. mobile Bretter mitsamt der Dekoration und dem Geschirr wieder abgetragen. Esstische kannte man in der Form nicht. Das erste Esszimmer wurde erst 1744 eingerichtet. In England.
Zum Abschluss, zwar nicht mehr barock, aber so obendrauf als schlossiges Detail: Die Spitze des Kilimandscharo befindet sich nicht da, wo sie eigentlich hingehört: in Afrika auf dem Berg, sondern im Erdgeschoss des Neuen Palais in Potsdam. Ein deutscher Bergsteiger namens Meier (Meyer, Mayer, Maier?) hat sie bei seiner Kilimandscharo-Erstbesteigung dem Kaiser zu Ehren abgesäbelt, und der hat die Spitze in den hauseigenen Grotten-Saal einbauen lassen.
Irgendwie doch nicht unerfreulich, dass demnächst 2006 kommt.
Und der 250jährige Jubilar dazu. Best of both worlds.
5 Zweitstimme(n):
auch ein schöner brauch aus alten zeiten: im versailles des sonnenkönigs mussten/durften (?) unverheiratete frauen ihre brüste nicht verhüllen.
womit wir auch wieder bei karl lagerfeld wären, wenn man sich die paris mode von diesem (und den vergangenen 20) jahren ansieht.
der brauch, frau zora, findet meinen eindeutigen zuspruch. die mehrfachen einzelfallstudien finden meinen beifall und die freude, wie oft man doch über die selben sachen immer wieder kopfschütteln und schmunzeln kann.
zurück in die zukunft!
@kein einzelfall: Aufschlussreiche beschreibung! Eigentlich würde ich ja auch lieber in dieser zeit gelebt haben. Allerdings frage ich mich was besser wäre "Hof" oder "Volk"-Mitglied? Allerdings 'selbstgemachtes' gabs wohl mehr beim volk!
@zora: Wie man sieht, alles schon mal dagewesen.
@ole: Brauchtum ist an sich ein löbliche Sache, aber bei den momentanen Temperaturen ...
@anonym: Schon unterwegs. Wir alle.
@vundepalz: Gute Frage und nicht das einzige Rätsel in diesen Tagen. Im Zweifel aber vielleicht doch besser Hof, da wurde man wenigstens satt.
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