18 April 2006

Retter der Eszet

Eszet sind im akuten Fall nicht die herrlich altmodisch gebliebenen Schokoplättchen, sondern es ist die SZ, die Süddeutsche Zeitung. Seit ihr magazin wegen Nichtrentabilität von der Einstellung bedroht ist, also eigentlich seit immer, gibt's im Hause k.e. ein SZ- Wochenend-Abo; wild entschlossen, es in dem Moment zu kündigen, wenn das magazin eingestellt wird.

Seit einiger Zeit aber geht mir das Heft schwer auf die Ketten missfällt mir die Freitagsbeilage zusehends: Keine Ausgabe ohne mindestens
  • einen Hoffnungslosigkeit versprühenden Riesenartikel über sozialen Abstieg, Armut und Angst, der gern gefolgt wird von
  • einer Lifestyle-Strecke mit kreuzhässlichem Kram, den sich maximal in die Wohnung stellen/an den Leib hängen mag, wer mit Kontostand und Geschmack einer Spielerfrau ausgestattet ist, und
  • schließlich die trendgemäße Leier zum Thema Kinderkriegen bzw. Nichtkinderkriegen, natürlich in der angesagten Manier, beides spaltpilzmäßig gegeneinander auszuspielen.
Allein die winzige Kolumne von Juan Moreno samstags, die nicht immer, aber oft genug so gut ist, dass sie ein komplettes magazin wett macht, hat bisher eine Abokündigung verhindert. Jetzt scheint er sogar Verstärkung zu bekommen: In Gestalt von Tobias Kniebe.

Vielleicht ist der Jubel verfrüht, aber vor zwei Ausgaben ein so scharfsinniger wie unterhaltsamer Artikel von ihm über - tsihi, ausgerechnet! - Kinderkriegen und diese Woche ein Volltreffer-Beitrag über Moleskines. Ersterer garniert mit einem hochprozentigen Zitat aus der Frankfurter Rundschau ("Gestatten, Frau und Gebärmutter. Ich bin hier der soziale Kitt, wo kann ich mich hinkleben?"), letzterer mit einer zwar nicht unbedingt humanistisch getränkten, aber präzisen Beschreibung eines bestimmten Typs buckelnder Jungdynamiker ("In einer Vorstandssitzung, verbunden mit einer drahtigen Assistentenfresse und einem Montblanc-Füller, zeugt das Buch von Ergebenheit: Die Worte des großen Bosses [..] müssen notiert werden").

Und das sind nur aus einem klugen Gesamtzusammenhang herausgerissene Auszüge. Das lässt hoffen.

Das Abo bleibt also erstmal.

9 Zweitstimme(n):

18/4/06 10:57, Blogger F schreibt:

SZ muss bleiben. So oder so.

 
18/4/06 12:28, Anonymous Anonym schreibt:

a) Mein Abo ist schon lange gekündigt.
b) Gelegentlicher Kauf am Kiosk
c) Der Moleskine Artikel hat mich auch mächtig amüsiert.

 
18/4/06 13:33, Blogger Lundi schreibt:

Das beste am SZ-Magazin sind doch die Beiträge von Axel Hacke ! Die lese ich immer wenn ich irgendwo ein SZ-Magazin in die Finger bekomme.

 
18/4/06 15:18, Blogger Oles wirre Welt schreibt:

Ich dachte, ESZET sei diese Schokolade für zum aufs Brötchen drauflegen. :)

 
18/4/06 18:55, Blogger kein einzelfall schreibt:

@kleinesf: Gründen Sie eine Partei mit diesem Programm und Sie haben meine Stimme.
@michael: a) Schade. b) Zum Glück. c) Gell!? ;)
@lundi: Leider nichts für Fernseh-Traumatisierte, bei denen Paola Bilder von ihr und Kurt Felix hervorruft.
@ole: Merksatz Nr. 1: Auch bestens zum Solofuttern geeignet, wenn grade kein Backwerk zur Hand ist.

 
19/4/06 02:46, Anonymous Anonym schreibt:

Im Prinzip ja. Ganz schlimm wird es aber, wenn sie den Rappel bekommen und das Magazin von vorne bis hinten mit Modegedöns zukleistern, weil sie dabei öfters kaltherzig die moralische Frage der Woche weglassen, eine Unterweisung, die ich dringend und vor allem regelmäßig benötige.

Und Herr oder Frau Lundi: Überschätzen Sie bitte nicht Herrn Hacke, der ist nur manchmal gut, manchmal schläft einem auch das Gesicht ein.

 
19/4/06 13:37, Blogger ramses101 schreibt:

Na super. Über Moleskine herziehen, aber mit Sicherheit wieder von nix ne Ahnung. Oder verrät uns die SZ auch, welcher Anbieter mich stattdessen mit Blanko-Skizzenbüchern (heavy paper) versorgt? Natürlich nicht. Auf der anderen Seite aber ja auch wieder verständlich, wenn man sich schon damit brüstet, auch von Hemmingway und Picasso genutzt worden zu sein. Peinlicher geht's ja kaum.

Was die Abo-Gedanken angeht, geht es mir ganz ähnlich mit meinem Drecks-Titanic-Abo. Das hab ich nur deshalb noch nicht gekündigt, weil die Briefe an die Leser einfach Meisterwerke sind und natürlich wegen Max Goldt. Aber leider, leider beginnt der gute Onkel Max zu wackeln. Wenn das so weiter geht, seh ich da schwarz.

 
19/4/06 13:57, Anonymous Anonym schreibt:

Ganz ehrlich, Madame. Diesen Lifestyleplempel für Fastintellektuelle braucht doch eh kein Mensch.

 
19/4/06 16:50, Blogger kein einzelfall schreibt:

@poodle: Ja, der Herr Erlinger. Gibt mir jeden zweiten Freitag das persönliche Gefühl tiefer moralischer Verrottung und hochgradiger Oberflächlichkeit gleichzeitig - Fragen, die ich mir nie stelle, und Antworten dazu, die meistens anders ausfallen als die des Profis.
@ramses101: Eigentlich kommt das Moleskine doch gar nicht so schlecht weg?! Für das affige Gehabe mancher Benutzer kann's schließlich nix. Prima Alternativen (aber wozu eigentlich ;)) sind übrigens im gutsortierten Malbedarfhandel zu finden.
Und Onkel Max - ach ja. Aus karger, aber regelmäßiger Lesungsbesucherfahrung habe ich mir die Theorie geklöppelt, dass er einen - zunehmend weniger zu gewinnenden - Kampf gegen Übergewicht führt. Vielleicht schwächelt er deswegen ein bisschen.
@saint b.: Eben(t), erst recht, wenn er sich auch noch so nennt. Über Lebensart dagegen lässt sich reden. Obwohl die leicht nach gehobener Ausstattung für den anspruchsvollen, solventen Mittvierziger tönt.

 

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